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[ keine heimat? ]

Dienstag, Januar 22nd, 2013


 

dass in der teutschen linken zumeist nicht kapiert
wird, wie das ist mit den fronten und den freunden
und mit der historie und mit ‚links‘ und ‚rechts‘ und
so … sie haben halt allgemein schwierigkeiten mit
der theorie. was ja nicht schlimm wär‘, eigentlich;
würde das mit der praxis nur besser funktionieren

und würden sie nicht manchmal ganz fürchterlich
mit dem ‚freund und feind‘ durcheinander kommen
 

‚antideutsche‘ stehen nicht ‚links‘. sie werden von
denen, die sich selber gern ‚links‘ sehen, allzu gern
dort hingeliebt: ‚antideutsche‘ haben wenigstens
eine heimat, wo ‚uns linken‘ jegliche heimat aus-
getrieben wurde, damals – also im faschistischen
vorläufer dieser postfaschistischen republik. sie
wurde uns ersetzt durch ein anhaltendes, ein ver-
dammendes gefühl der schuld, einer verschwiegen-
en, unstillbaren sehnsucht nach räumlicher, sozia-
ler und gesellschaftlicher zugehörigkeit; aber eben
auch einer tiefen scham für das unfassbare han-
deln derer, zu denen wir uns nicht mehr zugehörig
fühlen können, fühlen dürfen: auf ewig heimatlos

die scham ist nach meiner einschätzung heute
noch angemessen und politische verpflichtung –
die schuldige sehnsucht aber ohne perspektive
 

meine heimat ist für mich gefühl. ist ein ort, an
dem ich bleiben will. meine heimat ist an vielen
orten. sie ist gefunden in menschen und gebun-
den an landschaften. heimat ist für mich kein
staat, ist keine schuld und keine übertragung

meine heimat hat keine grenzen, ist nicht gren-
zenlos. ganz sicher liegt meine heimat nicht im
deutschen, auch wenn ich meist in deutscher
sprache träume, spreche, denke. meine heimat
ist ein ort, der kritik verträgt und selber kritisiert

meine heimat ist liebe. ist unbequem. wünscht
und entzieht sich. heimat ist fern. heimat trägt
und erträgt. die heimat ist unbequem. heimat
kennt keller und schächte, kz und befreiung, ar-
beit, genuss, musse und drückende klebrigkeit
 

heimat spricht sich selbst. heimat nimmt auf, hei-
mat bleibt. heimat ist dort, wo ich nicht bin. hei-
mat liebt, blickt zurück, schickt fort. heimat ist
bedroht und bedrohlich. heimat ist süss, ist sper-
rig. entzieht sich. heimat kennt demut. heimat
ist herkunft und abgang. fluch, verfolgung, die
einzige liebe, letzte hoffnung, der grosse verrat

manchem ist sie alles, manchmal ist sie nichts
davon. heimat ist unbequem, immer wieder. ist
unfassbar, unbeschreibbar. ist zwang und opf-
ergabe. immer wieder krieg und flucht und fluch

heimat ist pathetisch, gefährlich pathetisch. ist
ein gegenstand. ein postkartenmotiv, aus dem
sperrmüllhaufen über die strasse geweht: deja
vu; nie wirklich gekannt und doch nie vergessen
 

meine heimat liegt weder im richtigen, noch im
besseren. meine heimat ist frei von religion, hat
manchmal ein geschlecht, lebt stets in den kul-
turen. sie ist erforscht und erfunden, erlogen
und erträumt, und einen moment lang fand ich
sie tatsächlich mittags in sommerhitze vor dem
centre pompidou, paris. so ist heimat immer per-
sönlich. und fremdbestimmt gibt es sie nirgends
 

foto: antideutsche müssen draussen bleiben?
31. oktober 2012