Archive for 2019

[ béton III ]

Dienstag, Dezember 24th, 2019




das kalte wasser ist wie eine taufe. nur eben mal mit den
füssen, klar, mitten in der stadt und mitten am tag, und
dennoch fühlt es sich an wie ein ankommen. viele jahre
nur von diesem fluss geträumt und jetzt … irgendetwas
suche ich zwischen den steinen, irgendetwas verlorenes
oder zu findendes, eine erinnerung, die fehlt, oder ein
traum vielleicht. zwischen all den steinen liegen bilder
von dieter, der jetzt einfach weg ist. und, ja, es ist gut

wenn von euch in zukunft jemand stirbt, ich will’s nicht
wissen, schweigt einfach, ich will euch alle fern ganz nah
behalten. was unsinn ist. genauso unsinnig wie irgendwas
zwischen steinen dieses flusses zu suchen, wo gerade die
sonne durch die wolken bricht, aber hier, an diesem ende
der welt, am rand von beton, scheint sie halt nicht für alle


foto: l’orb
bédarieux, 24. dezember 2019

[ un dernier adieu ]

Montag, Dezember 23rd, 2019



meinem freund dieter, der zu seiner letzten fahrt aufgebrochen ist

„the bridge“ (mp3, 8.9mb oder wav, 48.2mb)


foto: schaffhausen, 13. juli 2015

[ katze im glück ]

Mittwoch, Dezember 11th, 2019



aujourd’hui, je vous présente un chat noir: zizou ! er ist
schwarz. (naja, fast überall.) er ist schüchtern. ausser es
geht um’s essen. dann wirft er sich in deinen weg, dann
drängt er sich in den vordergrund, jegliche zurückhaltung
vergessend. mit einer handvoll schiesst man ihn ins glück


foto: chat dans le bonheur
autignac, 11. dezember 2019

[ béton II ]

Dienstag, Dezember 10th, 2019



„(…) je ne pense pas que ça marche (…)“


jene poststelle, die wenige minuten vorher geschlossen
hatte, als wir gestern abend hinsausten, ist seit heute
endgültig zu. betrieb eingestellt. nächste möglichkeit
drei kilometer weiter in lamalou, solange bis bei der post
in bédarieux die „traveaux urgents“ abgeschlossen sind

in lamalou habe ich zum ersten mal verstanden, weil mit
eigenem auge gesehen, warum „normale“ briefpost als
„s-mail“ oder „schneckenpost“ bezeichnet wurde. das
in-zeitlupe-bewegen ist eine grosse kunst, die hier
meisterlich vorgeführt wird. laden brechend voll, zwei
klimaanlagen auf anschlag hochgedreht lassen in den
ecken formulare aufwirbeln und die angestaute geduld
ist schon zu riechen. dann … diese kunst. meisterlich

als der für mich zuständige gemessen seinen abgesenkten
blick vom tresen hochschraubte, um mir mitzuteilen, dass
die eine rechnung, die meine „attestation d’hébergement“
bestätigen sollte, zu alt, weil aus dem juni sei, ich schon
anfing, meine lungen mit luft vollzupumpen, wandte er
sich brummend ab, entliess mich mit einer geste. etwa so


nachtrag: es gibt wunder und sie geschehen nicht in lourdes
oder wo auch immer behauptet, nein, es ist la garde. mein
brief mit der bankkarte wurde in la garde ausgehändigt und
ist nun quasi auf dem weg zu mir. nach viereinhalb monaten
endlich die kontokarte. stetes klopfen höhlt auch hier beton


foto: la mare zwischen bédarieux und hérépian
10. dezember 2019

[ béton ]

Montag, Dezember 9th, 2019



„ce matin, j’étais à la poste à bédarieux. mais, merde, (…)“


„heute vormittag war ich bei der post in bédarieux. aber
scheisse, sie war ausser betrieb und gerade auf die andere
seite von bédarieux umgezogen. dort aber verwies man mich
an die für bankangelegenheiten zuständige postfiliale, die
sei nur zwei, drei kilometer entfernt. dort, wiederum, war
man interessiert – nachdem ich ein paar versteckte hürden
überwinden konnte, um einzutreten. unglücklicherweise war
man nicht in der lage das dokument, das meinen wohnsitz
bestätigen sollte, anzuerkennen, weil es bei der post dafür
ein eigenes formular gibt. und man begann, in irgendwelchen
schubladen danach zu suchen. schliesslich gab man mir ein
formular, mit dem du wenigstens das einschreiben mit meiner
bankkarte in la garde abholen könntest. das hier ist es. aber
ich bezweifle, dass man es dir geben wird; auf dem formular
steht meine aktuelle adresse, auf dem bankbrief meine alte
in le pradet. könntest du es vielleicht trotzdem versuchen?“


foto: béton. hier kriegt man alles geregelt
bédarieux, 09. dezember 2019

[ près de rien ]

Sonntag, Dezember 8th, 2019



auf felsigen hügeln wird der wein kultiviert. braches
land ist mediterrane macchie. steineichen, grüneichen
und esskastanien. uralte steinmauern, aufgeschichtet
aus grauem schiefer, parzellieren das land in terrassen

autignac (bildmitte rechts, hinter dem wasserturm aus
grauem beton) liegt öde unbewegt am rand von nichts


foto: le maquis en haut faugères. blick nach südosten
08. dezember 2019

[ la grève générale ]

Samstag, Dezember 7th, 2019



béziers. die hiesige demonstration zum generalstreik. beindruckend

foto: manifestation de grève générale
béziers, 05. dezember 2019

[ die blaue lagune ]

Montag, Dezember 2nd, 2019



foto: hier ist nur noch abschiednehmen
le pradet, 02. dezember 2019


„Achselhöhle? Knie?
Wo sind die 🔔🔔?
Haha 😁“


„na hör mal. hier ist doch nicht ‚die blaue lagune‘

ps:
um missverständnissen vorzubeugen (ich bekam jetzt
schon einiges zu hören): das ist weder mein „fetter
hintern“, noch meine „fette plauze“ (zitate!!), sondern
nur mein wohlgeformter bizeps, verdammt!!

[ … und heute eine postkarte ]

Donnerstag, November 28th, 2019



jetzt überstürzt sich alles. nach einem guten dutzend emails
und telefonaten ist das „geht-gar-nicht“ über „geht-so-nicht“
und „geht-frühestens-in-4-wochen“ zum „dann-jetzt-sofort“
verändert. die französische bürokratie ist ein seltsames viech

das heisst: ab sonntag arbeite ich am rande der cevennen

schreit sowas nicht nach einer postkarte? ja: abendstimmung
mit schiffchen. dies wird meine letzte nacht hier in la seyne

foto: abendstimmung mit schiffchen
la seyne sur mer, 28. november 2019

[ irgendwas persönliches ]

Mittwoch, November 27th, 2019



„erste hürde: die felsenpassage. aber aufgeben ist ja
nicht mein ding. (ich hab fotos gemacht, kriegst du
später.) zweite hürde: bei diesen wellen ins wasser. (ich
hab fotos gemacht, kriegst du später. ;)) das hat echt
was von ins-wasser-gehen. kaum war ich wieder
draussen und abgetrocknet, beruhigte sich das meer. ist
irgendwas persönliches zwischen uns, glaube ich.“


foto: irgendwas persönliches
le pradet, 27. november 2019

[ un véritable dimanche ]

Sonntag, November 24th, 2019



ein echter sonntag, wenn doch die sonne rauskommt, einen
augenblick lang, und einen horizont hinzaubert wie gemalt

der hinweg über eine schmale uferpassage wird von brechern
überschwemmt. den takt mitzählen und dann über die felsen
springen. zu früh, und zack! ins knietiefe wasser. gleiches
wird mir auf dem rückweg noch einmal gelingen, als ich schon
glaubte, schlauer geworden zu sein. ja, hier bin ich zuhause

als ich unvermittelt über die sandkante rutsche, zieht mich
eine zurücklaufende welle meerwärts. mit vier, fünf zügen
gewinne ich wieder boden und stürze mich zurück ins seichte

so ist die mareen gestorben, denke ich, und: dankeschön, ich
will hier nur kurz baden

danach ist jedesmal wie neu geboren. angelandet in der welt

„est-ce froid?“ fragt plötzlich jemand neben mir, der mich
wohl noch vom sommer kennt. „non, vraiment merveilleux.“


foto: un véritable dimanche
le pradet, 24. november 2019

[ weihnachtsmarkt ]

Samstag, November 23rd, 2019



die eröffnung des weihnachtsmarktes wurde wetterbedingt um
eine woche verschoben. der advent soll unverändert stattfinden

gäbe es eine gesetzliche regelung für weihnachtsstimmung, wär‘
sie hier verordnet. der fraternität wegen und wegen des guten
geschäfts. der weihnachtsmann sitzt in seiner hütte bereit, fertig
zum anfassen und zum kostenpflichtig fotographieren. halleluja!

schnell vorbeifahren reicht, denke ich, schnell genug, damit
nicht am ende noch etwas herüberspringt, so eine art ätz, der
die lebenslaune wegbrennt wie leischmaniose deine haut, passt
du nicht auf. im land der toleranten bleib ich gerne unberührt


foto: weihnachtsmarkt
la garde, 23. november 2019

[ gegenüber: le pradet ]

Mittwoch, November 20th, 2019



gegenüber von la seyne sur mer, am gegenüber liegenden ufer
der bucht, liegt der strand von le pradet, der seit den stürmen
dieses herbstes zur hälfte von den wellen weggefressen wurde

hier habe ich ein paradies gefunden. ja, zugegeben, zu einem
paradies gehört mehr als eine schöne landschaft. mehr als ein
angenehmes klima und eine mich faszinierende vegetation. da
gehörte vieles geändert, auch hier. die armut ausserhalb der
mauern und zäune der residenzen, die dreiste bürokratie, die
permanente kontrolle – überall! -, und die unachtsamkeit, alles
niederwalzend. und immer wieder diese narzistische dummheit

anfangs glaubte ich, all dem entkommen zu sein; naiv war’s. nie
entkommst du der dummheit, schon gar nicht der eignen. und
dennoch habe ich hier mein schönstes jahr verbracht. da unten
am strand liegend, meist, die nase in den büchern, zaghaft erste
freundschaften schliessend, ängstlich stotternd und ringend um

worte


foto: la plage du monaco
le pradet, 02. dezember 2019

[ le port ]

Dienstag, November 19th, 2019



die wochentage verbringe ich meistenteils in la seyne sur mer

in einer provisorischen schule für migranten versuche ich
schnellstmöglich mein altes schulfranzösisch zu aktivieren
und mehr. schliesslich will ich hier bleiben. um frankreich
zu geniessen und die stirn zu bieten, braucht es doch mehr
als seinen namen fehlerfrei zu buchstabieren. an diesem mehr
scheint dieses system nicht interessiert. das oben und unten
ist hier klar definiert. unten bleibt reserviert für die migranten

abends: am hafen. mein basislager zwischen autowracks und
automobilen notunterkünften wohnsitzloser oder fischer. die
nächte sind laut und kurz, wenn im sommer auf dem sandplatz
pétanque gespielt, getrunken, geliebt und auch gestritten wird

heute geht der blick über die bucht bis nach toulon, auf den
grössten militärhafen europas. es ist doch eine schande, wie
einfach es einem regenbogen gelingt, das allzu hässliche zu
überstrahlen. und es brauchte hier wahrlich viele regenbögen


foto: hafen, blick auf toulon
la seyne sur mer, 19. november 2019

[ wind von süd ]

Dienstag, November 19th, 2019



am samstag bin ich hier noch hineingesprungen. todesmutig
obwohl der wind eisig war. am sonntag schlug er dir alles um
die ohren, was nicht fest genug angenagelt war. und dieser
wind kam auch nicht von süden herauf, das war glatt gelogen

auf einmal ist der sommer vorbei. ich muss abschied nehmen


foto: la plage du monaco
le pradet, 17. november 2019