[ valparaiso ]

wo bist du, was machst du, was lähmt, was liegt, was
gilt, was hält, was quält sich und was treibt dich um?
die fragen wiegen schwerer, da du schweigst, seit ta-
gen schweigst und zeigst nicht, schweigst dich stumm

lass mich dir vom traum dieser nacht berichten, schweig-
same, als das kanonenboot zeigte auf unseren garten an
den hängen, hoch über dem meer, hoch über dem hafen
dieser stadt, wo die sonne ohne unterlass scheint für alle
und für die armen mehr, sie scheint also für uns, sie scheint
auf valparaiso, wo die menschen über treppen zueinander
steigen, die gepflastert sind mit den rücken farbiger mu-
scheln, lebendig singend unter den sohlen, wie orgeln aus
viktorianischer zeit, die in der hitze des sonntags durch die
schmalschattigen gassen obszöne choräle röhren, wie an-
getrunken – me caga la puta! angetrunken schon im
mittagslicht! – trotz des kanonenauges haben wir gelacht
uns zugelacht, zähnezeigend, helles züngeln zwischen
flaumigen lippen, glänzend wie von imperialer zahnpasta
gemacht, die hier verwendung findet, um das silber rein
zu halten vom teer der zeit, jener, die im hafen lauert
jener, die am tage ruht, die nachts die aufzüge herauf-
knarrt, unabweisbar wie der geruch des tangs, die durch
mauerfugen kriecht, wie der beissende rauch von wein-
stockstümpfen: trunken machendes leben, im sterben
gift für alle, die durchflossen – so lachten wir auf unserem
stück garten über dem meer, hoch über dem hafen von
valparaiso

ich wusste deinen namen nicht, vergessen war er, doch
so sicher war, dass dieses lachen dir gehörte, da ich dei-
nen geruch kenne, von zitronen und pfeffer, so gut kenne
ich ihn, aufgesogen in tausend nächten der liebe, an tau-
send tagen des schmerzes, aufgesogen, fortgeküsst im
schweiss auf deiner stirn, wenn träume dich rufen liessen
nach mir, dass dein ruf mir folgte, schneller als mein blut
mein herz erreichte, immer, auch an den entferntesten
polen und mich weckte; immer war ich im allernächsten
augenblick bei dir, ich küsste deine augen bis sie ruhiger
wanderten, küsste die nelken auf deiner brust, bis dein
atem zurückfloss wie das meer bei flut, dass du zurück-
kamst zu mir, jedes mal, müde und nackt lagst du, hin-
gespült vom traum, verwirbelt, verwirrt, verlassen, liegen-
gelassen, hingegeben, wie die welle den sand verlässt
bei ebbe nicht ohne ein geschenk – so hast du dagelegen
viele male; von daher kenne ich deinen geruch

und so lachten wir unser lachen von frischen kartoffeln
und tomaten über den hafen von valparaiso hinweg, an-
gesichtig eines kanonenbootes, das eine welt bedrohen
kann, aber nicht die unsere, nicht die geckos auf den
fenstersteinen, nicht unsere liebe im traum, nicht dein
lachen und nicht meines, und als ich dich in den schatten
ziehen wollte – puta madre! – angeschwollen von lust, wie
es am sonntag üblich ist, bist du entschwunden, entglitten
in fremde schatten, einen traum vielleicht, zerflossen wie
eine fatamorgana des nichts, wie zucker im kaffee: fort
und nicht fort – hast mich sitzengelassen, elegant und
verschwitzt wie ich war, ein echter macho, ein gaucho
heiss wie ein stier oder ehrlicher gesagt: wie eine schild-
kröte im angesicht ihres endes, zwischen zähnenbespick-
ten kiefern eines hungrigen katers, entschlossen zu über-
dauern, dort, zwischen öligen fässern, dort, zwischen
kisten und ballen, dort, zwischen stein und schuppen und
salz, dort, im hafen von valparaiso


für pablo, für julia, für katja und
für co, die liebe meiner träume –
der träume und der liebe wegen


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