[ vor dem regen II ]

Mai 25th, 2006

die wellen rollen steine
an ihr ufer, ruhelos °
sie werfen sich zurück
im zwei-sekunden-takt

durch braunes wasser, auf-
gebrandet, gehen, bis ich
den grund erkennen kann, die
steine, dann lasse ich mich
fallen, schreiend vor kälte
und übermut

und der wind dreht von süd-
ost nach südwest, schiebt
eiswolken schleiernd vor das
licht, kinder lärmen heran, so
dass ich mich bedecke mit
den alltagskleidern und
meinen abschied nehme
wie einen letzten gruss

° – (ogg; 4,2mb)

[ im abendgesang ]

Mai 24th, 2006

einen kreis machten wir
im abendgesang. über
uns stand eine pyramide
tanzender insekten

ein dreieck haben wir
gemacht aus blicken
die ecken aus drei zeiten
und dennoch

heute
gründen wir
ein haus unter
bäumen



[ vor dem regen ]

Mai 23rd, 2006

da unten sind nur alte weiber, sagt in breitestem dialekt
ein mensch, der mit fragendem lächeln über mich herge-
fallen war, nachdem ich rückwärts in eine schattenlücke
eingeparkt hatte. joa, gibts diese dinger denn noch?
hatte er gefragt, als ob er einer leibgewordenen fatamor-
gana technischen wahns gegenüber stünde, und seine
unüberhörbar an die motorhaube tippenden fingerspitz-
en schlossen die verneinung aus – also ein hier einge-
wurzelter sachse, seine entblösste beleibtheit über die
gürtellinie einer tuchhose fallen lassend, fünfundfünf-
zig, dabei achtundvierzig mal umgezogen, eltern ’61 rie-
berjemacht (gen ost), er also driem‘ auf die schule und
dank ’navi‘ in seinem geschäftsauto sicher vor polizei-
lichen radarfallen. wir hatten unsre koarten immer da-
bei, da gabs dann gleich zwei stembl rinn und bei finven
wohr schluss: fiehrerschein wech fier ein joahr, sagt er
und schlägt sich rhythmisch eine lange schlüsselstrippe
über die schultern auf den ebenso fleischigen rücken
gegen die gewitterfliegen. zum strand will er, fragt mich
ob ich auch … während ich das rolldach zu schliessen
versuche, das sich sträubt, versteift in spontaner unlust

ich muss mich vorher noch etwas hübsch machen, sage
ich, das autodach meinend, sonst regnets rein. (denn
hohe wolken ziehen auf, von west) er lacht. ouuh – da
unten sind nur alte weiber. (er wartet)

und dann erreichen wir eine weggabelung, ich entwei-
che nach links, er verabschiedet sich geradeaus, den
männlichen blick zum seeufer, den dort lärmenden ent-
gegen, vermute ich, und dem panorama der schweizer
berge, das in graublauem dunst verschwimmt


[ auf dem friedhof ]

Mai 22nd, 2006

fröhlich bin ich, vater, und ich bin es
nicht, verstehst du? zu viele abschiede
als dass ich glücklich wäre

es ist nicht so, dass wir uns wieder-
träfen, später, nein; wir müssen uns
verlieren. und nach der logik unsres
daseins ist das gut. es stirbt die zeit

aber es schmerzt mich. jetzt. es ändert
nichts, bei dir zu sitzen, aber es tut gut

das grab ist etwas eingefallen, die
blütenstengel neigen sich zur mitte
hin, im sonnenlicht erscheint der
moderduft noch fetter, der ganze chor
an frühlingsvögeln tiriliert, eidechsen
huschen lautlos
über polstergrün, tau-
chen zwischen steinen ab und irgend-
wo ist eine kerze ausgeblasen, sagt
der wind


[ zu gast bei freunden, morgens um halb drei ]

Mai 21st, 2006

morgens, 2:37 uhr. die scheiben des autos sind von
aussen grell erleuchtet. fäuste trommeln gegen das
blech. ich habe sie längst kommen hören, diese
trottel, und schäle mich langsam unter den decken
hervor. dann die immer gleiche zeremonie: denen
vergeht das dumme grinsen schnell. ich bin nicht
freundlich, zu den deutschen freunden, wenn sie
es sich herausnehmen, auf meine kosten ‚bulle und
terrorist‘ zu spielen, von polizeiautos eingekeilt und
offenmäulig glotzenden uniformierten, hände an
den knarren, ein halbes dutzend schäublekranke
schimanskis, des nachts auf einem parkplatz am
südrand von klein-amerika

nein, ich öffne die türen nicht. wozu auch. ich lasse
meinen personalausweis durchs fenster fallen und
teile ihnen mit, dass sie dreiste arschlöcher sind –
allerdings ohne das wort auszusprechen, denn ich
bin ein sparsamer mensch

’staatswichser‘ denke ich im einschlafen. und ich
schlafe sofort wieder ein, denn an zwischenfälle
dieser art
bin ich inzwischen gewöhnt, nachts wie
tags
, überall in deutschland

[ bundeskriminalamt ]

Mai 20th, 2006


 

in einem innenhof, hinter stacheldraht, hinter zäu-
nen, hinter kamerawächteraugen, unterhalb des
dammes, strebt eine gruppe schwarzgekleideter
schwarzen limousinen zu. ich forme mit meinen
händen einen schalltrichter: ihr seht scheisse aus!

für die dauer eines augenblicks erstarren sie, gleich
vögeln beim anprall gegen unsichtbares glas, dann
setzen sie ihre bewegungen scheinbar unverändert
fort

doch etwas war geschehen. für einen zeitschlag aus
dem gleichgewicht, angesichts ihrer ruhigen geschäf-
tigkeit im bewusstsein der macht, war ich unpräzise

das folgende wäre angemessen gewesen, jedes wort
eingrabend wie eine tätowiernadel: eure bundes-
kriminalamtsfressen sehen scheusslich aus wie
bundeskriminalamtsfressen!

und dann die hände wieder vom mund nehmen und
abwischen, mit einem taschentuch, und ausspucken
den bitteren geschmack einer beschimpfung und
weitergehen, ehrlich bleibend, meine ziele im sinn
 

foto: bundeskriminalamt
berlin, 20. april 2006


[ tränen? später ]

Mai 19th, 2006

die nachricht kam auf der autobahn. per telefon. mit
ihr die erkenntnis, nicht – nicht mehr – eingeladen zu
sein. aber – aber – aber – verstümmelte sich meine
sprache. dann sass ich still, lauschte meinem atem

ich trete mein herz hinunter, trete das gaspedal aufs
bodenblech und fahre weiter. weiter. hinabtreten
und weiterfahren. immer geradeaus. (bilder im kopf)

später, irgendwann, brannte die abendsonne meine
wangen herunter, glühende spur, salzige sonne


[ kein fussbreit den faschisten! ]

Mai 18th, 2006


„Am 20. Mai 2006 will die Esoterik-Sekte Universelles
Leben in Heidelberg eine Demonstration vom Bismark-
platz aus durch die Altstadt durchführen. Dazu mobili-
siert sie mit Plakaten niedlich dreinblickener Tiere, auf
denen vermeintlich tierrechtsbewegte Slogans wie
‚Menschen, esst kein Fleisch!‘ und ‚Nieder mit den
Schlachthöfen!‘ prangen. Die Absicht ist klar: mit einer
an die Tierrechtsbewegung angelehnten Symbolik und
Rhethorik soll versucht werden ökologisch eingestellte
Menschen, TierfreundInnen, VegetarierInnen und
andere für die eigenen Ziele zu gewinnen (…)“

dieser text findet sich auf dem entwurf eines flugblattes
einer antifaschistischen gruppe im raum heidelberg, der
mir eben zukam. auf diesem flugblatt wird ausführlich
über den „autoritär-faschistischen Irrationalismus“ der
sekte berichtet

damit wurde die sekte ‚universelles leben‘ endlich auch
von antifaschistisch aktiven als akutes angriffsziel ent-
deckt. hoffen wir, dass der bekannte slogan ‚kein fuss-
breit den faschisten‘ in heidelberg verwirklicht wird!


[ staatliche repression: jörg bergstedt in haft ]

Mai 17th, 2006

die bundesrepublik deutschland ist ein sauberstaat, in
dem eine ausserparlamentarische opposition, die sich
nicht in die kategorie der staatstreuen ’nicht-regierungs-
organisation‘ (ngo) einfügt, nicht erwünscht und perma-
nent staatlichen repressionsversuchen ausgesetzt ist

jörg bergstedt, ein unkonventioneller autonomer strei-
ter, ein schmerzender dorn im auge des hessischen
staatsschutzes soll nun, wenn es nach den wünschen
der justizbehörden geht, für einige zeit aus dem politi-
schen verkehr gezogen werden. nach einem verfahren
in dem alle register der rechtsbeugung gezogen wur-
den, ohne dass dies besondere beachtung in den me-
dien gefunden hätte, sollte er ab 18. mai 2006 für acht
monate hinter gitter

doch bereits am 14. mai 2006 wurde jörg ohne haftbe-
fehl festgenommen und in ‚unterbindungsgewahrsam‘
verbracht. eine zuvor in der saasener projektwerkstatt
durchgerockerte hausdurchsuchung erfolgte – wie zu
erwarten war – ohne richterlichen durchsuchungsbe-
schluss. mehr informationen dazu in einem bei indy-
media
veröffentlichten artikel

nachfolgend eine persönliche erklärung von jörg berg-
stedt (leicht gekürzt), die er einen tag davor geschrie-
ben hatte

„Am Donnerstag, den 18.5., verschwinde ich für 8 Monate
aus der tristen Republik und verlege meinen Aufenthalt in
den noch tristeren Knast Gießen. Das ganze wirkt wie eine
Panikreaktion der Staatsanwaltschaft, möglicherweise auf
Befehl des Innenministers, dessen Gießener Kanzlei derbe
attackiert wurde (völlig zu Recht, wie ich finde … siehe
http://www.im-namen-des-volkers.de.vu). (…)

Eine Übersicht über die technischen Bedingungen des
Kontakthaltens u.ä. zu mir sind auf www.projekt-
werkstatt.de/weggesperrt zu sehen. Ich bitte, von Aktio-
nen des Händchenhaltens abzusehen. Brennende Justiz-
gebäude, Aktionen gegen Strafe und Knäste usw., ge-
störte Gerichtsverhandlungen u.ä. fände ich netter. Bitte
denkt dran: Da sitzen 1000e Leute in den Knästen und
Knäste sind nicht erst dann schlimm, wenn eine einem
persönlich bekannte Person da drinsitzt!

Gruß … Jörg“


[ rubrik: spam ]

Mai 16th, 2006

damit ihr nicht den falschen eindruck bekommt, hier
wäre ein forum unbegrenzter toleranz: den folgenden
eintrag fand ich in meinem gästebuch – und habe ihn
sofort gelöscht, weil er sich da in etwa so wohlfühlt
wie kinderkacke im beichtstuhl. der muss ganz be-
sonders weit vorne stehen, hell ausgeleuchtet, damit
jede noch so feine nouance seiner kunstfertigkeit zum
strahlen kommen kann

„Trau keinem SÃnger, denn wahrhaftige
Gedanken singen nicht“

das wars schon. kurz aber schmerzhaft schön. der
schreiber (die person ist mir leider bekannt) hat sich
da in wortgewaltiger grösse so richtig bemüht. ganz
ganz toll


[ à mon avis ]

Mai 15th, 2006


 

nein, es sind nicht die farben. nicht alleine
die farben

die sonne gefiel sich in kurzauftritten, der
wind war grau. ich hasse grauen wind. ich
hasse stundenlange latschdemonstratio-
nen, fahnen vorneweg, bekannte symbole
und blöde parolen am stiel. dem alters-
schnitt nach wäre das ganze glatt als be-
erdigungsmarsch für gefallene kameraden
durchgegangen. vom lastwagen herab
liess eine partei aufspielen, beschwingt
das gewohnt-schlechte, natürlich, und am
ende, damit das auswerfen leichter fällt
john lennons ‚imagine‘

aber dann: diese farben. die sonne leuchtet
aus ihr heraus. und wenn sie lächelt. wenn
sie lächelt
 

foto: à mon avis
biblis, 29. april 2006


[ es fühlt sich an, als ob. traum ]

Mai 14th, 2006

aber ich lieb dich doch, sage ich. sie stemmt ihre
handflächen gegen meine brust, gegen meine
umarmung. bist du dir sicher, fragt sie, dass du
mich für dein ganzes leben haben willst?

ich bin sicher. und weiss, dass ich sie verloren
habe, mit dieser lüge. sie schaut mich lange an
aus traurig lächelnden augen. ich glaube dir
nicht, sagen die

dann küsst sie meinen mund, zärtlich aber ent-
schieden, geht und ich wache auf und weiss, dass
ich nicht daran sterben werde, obwohl es sich an-
fühlt, als ob


[ une demi heure ]

Mai 13th, 2006


 

zwischen zwei zügen treffen wir uns am bahnhof. er
nimmt einen café, ich einen eistee (eher ungewöhn-
lich). wir versuchen freie termine zu finden für unse-
re konzerte. es ist schwer, sagt er. und ich denke: du
siehst müde aus. durchs kameraauge beobachte ich
sein nachdenken über die fehlende zeit. wir umarmen
uns, er steigt in seinen zug, ohne dass wir zu einem
ergebnis gekommen wären 

foto: daniel verdier
freiburg, 27. april 2006


[ der mond stand am himmel ]

Mai 12th, 2006

mit selbstkasteiender askese hatte mein abschied
nichts zu tun. wirklich. ich schlafe gern alleine. und
ich bin nicht mehr zwanzig. wirklich

ausserdem, der mond stand rum, am himmel. be-
vor du mich wieder vergisst, habe ich geschrieben
und ihr einen frühlingstraum geschickt … naja …

nein, ganz sicher keine askese. aber vielleicht so
etwas ähnliches wie treue. das macht mich nach-
denklich und ein wenig unruhig. aber ich bin doch
schliesslich nicht mehr zwanzig


[ fotoshooting ]

Mai 11th, 2006


 

peryton geht, steht, zupft, dreht sich
und grinst in allen farben. mathu
zielt. die lu schiesst auf beide

sonne grell, wind kalt, die wellen
sind aus cellophan, die leute glotzen
dumm. ich mag diese stadt nicht
 

foto: kiel, 09. mai 2006
aufnahme: lu


[ der nächste abend in der stadt ]

Mai 10th, 2006

der bevorstehende abschied liess mich melancho-
lisch mit mehr wärme als an vielen abenden den
anblick dieses horizontes einprägen, der nur hier …

zugegeben: der park riecht übel nach verbranntem
fleisch, die freizeitcarnivoren opfern ihren göttern
doch hinter allen jämmerlichen zweigen, den lärm
mit brennend roter glut durchsickernd, steht die
sonne tief und schön, auch hier und unerreichbar
fern den mauern, wie den menschen, die sich darin
fügen


[ für z. ]

Mai 9th, 2006

wie regelmässig bin ich vor dem wecker aufgewacht. ich
sollte weiterschlafen, das programm des tages kennend
doch mein herz macht echos und ich lausche ihnen
hinterher

als ob mir manchmal der atem stehen bliebe, herab-
gedrückt von einer brandungswoge, freudenhalber

ertrinken sei der schönste tod, so sagen welche mit
reichlich luft in ihrer brust zum schwätzen; ich aber
nehme das leben, solange mir die wahl bleibt

(und sie bleibt)


[ spendenkonto ]

Mai 8th, 2006

… und wenn ihr nur ein wenig geld übrig habt, leutz, für
jene, die das tun, wozu ihr keine kraft oder keinen mut
oder einfach keine musse habt, dann gebt es dorthin:
eure unterstützung für theresa b. gegen den ‚bullenstaat‘

freie medien e.v.
konto-nr. 470 834 437
blz 360 100 43
postbank essen

stichwort: „bullenstaat“

ich danke euch


[ morgenvögel schreien ]

Mai 6th, 2006

die morgenvögel schreien, lassen die sonne rein, ich
glaube, das rauschen des flusses zu hören, aber das
ist der kopf, im aufwachen

„hej, will nicht, dass dein herz rausfällt – wie
willste denn ohne das so ne lieder schreiben?

es klopft so doll. an schlaf ist nicht mehr – genauer:
nur noch – zu denken


[ weisst du, wann die folter aufhört ]

Mai 5th, 2006


weisst du, wann die folter aufhört

sie hört dann auf, wenn du entschieden hast, dass
sie aufhören soll


und wann ist der film zuende

wenn du entschieden hast, ihn zuende zu bringen


aber können die, die es da reingebracht haben, nicht
wieder herausholen

der anfang, das zu ändern, liegt bei dir selbst. lass
dir helfen. aber alle entscheidung, aller anfang liegt
bei dir selbst
 

sie steht auf. setzt sich hin. spricht zu sich. ruft. dreht
den backofen an. und macht ihn aus. trinkt wasser aus
der leitung, schimpft über den miserablen geschmack
heute. raucht im flur. steht auf. setzt sich. kauert hinter
der zimmertür auf dem boden, die beine fest an den
körper gezogen, mit ihren armen haltend. sie lauscht

sie schaut mich an, ihr blick ist grau und zerzaust, steht
um ihr gesicht herum wie haare im wind, wie auf einem
foto, unten am hafen, den blick ins uferlos weite, gestern
oder morgen
 


und weisst du, wann die folter aufhört