[ angelegentlich. der vater ]

November 6th, 2006

angelegentlich der situation, dass sie nicht mehr
davon laufen können, herr xx, würde ich sie ger-
ne fragen, wie es sich anfühlt, nicht mehr davon-
laufen zu können. wenn die fragen vor ihnen ste-
hen, hungernd, hand in hand, wenn die fragen-
den ihnen die augenlieder aufziehen und sagen:

schau. schau genau hin. wir können sehen, jetzt;
wir können reden, jetzt. wir können zur sprache
bringen, was geschehen ist

angesichts dieser situation, herr xx, würde ich
gerne von ihnen erfahren, ob sie noch ein wenig
appetit verspüren


nachtrag (07.11.2006): [ angelegentlich. die mutter ]


[ stille. abschied ]

November 5th, 2006

und wie gehts dir sonst? (im hörer schweigt die stille kalt)

njaaa. ich weiss nicht. gut. nein. ich will nicht lügen, sagt
sie, zögert. ich will nicht lügen. (die stille. zum sterben still)

das wort heisst abschied, denke ich. mein herz schweigt


[ sechshundert kilometer ]

November 5th, 2006

sechshundert kilometer weiter steige ich ins
bad, tauche zentimeter um zentimeter tiefer
in die heisse flut, öl treibt duftend um das mü-
de schiff, leckgeschlagen am vulkan, wo die
haare frisch rasiert sind, spriessen rote punk-
te, luftblasen perlen auf, dann bin ich einge-
sunken. angekommen, denke ich, müde wer-
den


[ notiz: an k. ]

November 4th, 2006

da ist ein wunsch, den ich
nicht verstehe: ihr gegen-
über zu sitzen, während sie
von sich erzählt. wir kennen
uns nicht. wir kennen uns
nur über die worte, lesend

ich muss ihr das schreiben


[ komet ]

November 3rd, 2006

die böe ist warm, wie sommerabendwind, drei
sterne, himmel schwarz, den mond ha’m sie
geklaut (ach nein, wir sind im osten: abgebaut)

die zigarettenspitze ist ein komet im tiefflug
und bleibt schweben über ihren knien. ich bin

geliebt


[ mischa-minolta und der falsche sommer ]

November 2nd, 2006


 

dass die sonne schien, als ob ein wenig sommer
vergessen worden wäre, dort, liess uns übermü-
tig werden und ins wasser laufen, als ob es sei:
sommer. wir schrien und wir lachten, der wind
roch bereits ein wenig nach schnee, er machte
gänsepickel auf der haut; aber wir taten, als ob
alles genau so sein müsste

der in eine jener orange-farbenen uniformen ein-
gepackte ich-bin-ein-wichtiger-umweltsauberhal-
ter-fuzzi kam vermutlich nur zu uns herüber, um
nackte brüste zu sehen. dass sich das bei mir
nicht lohnt, merkte er schnell und auch, dass es
nicht allzu erquicklich ist, mich anzumeckern

aber es ist diese gegend: der erste anschein
lässt glauben, dass alles genau so sein muss
 

foto: mischa-minolta
friedrichshafen, 09. oktober 2006


[ aufgewacht ]

November 1st, 2006

nein, für mich bist du nicht krank. du bist kein krankheits-
bild
. sind nicht wichtigsten fragen, wohin dich dein weg
geführt hat? was du erlebt hast, unterwegs, erlitten? ob
wir noch platz finden, füreinander? oder nein, das ist nicht
wichtig, letzten endes nicht. ich bin aufgewacht mit dem
gefühl, dass mir deine fragen, deine zweifel, die wichtig-
sten geblieben sind, neben meinen eigenen. (wo bist du?)


[ komm. lass ]

Oktober 31st, 2006

mein nacken schmerzt im
schlaf. lärm ist meine stille

du, ich bin müde geworden
über’s suchen alt. komm, lass
uns ein wenig ausruhen



[ einen moment lang ]

Oktober 30th, 2006

magst du anhalten, für einen
moment, zurückschauen, wo
ich geblieben bin?

und könntest du – bitte – einen
zweiten moment lang auf mich
warten?

selbst wenn unsere wege die
gleichen wären – die berge
sind unterschiedlich hoch


[ stadt im spiegel ]

Oktober 29th, 2006


 

im fensterspiegel lässt sich der anblick dieser stadt er-
tragen. der anschein des maroden hat etwas hoffnungs-
volles. wie das gewürz, das einer suppe den brechreiz
des billigen nimmt, sofern du dich betrügen lässt; du
kennst inzwischen ihre tricks, du grüsst, du lächelst artig
 

foto: neubau
friedrichshafen, 01. august 2006


[ tangermünde ]

Oktober 28th, 2006


 

über dem hafen lehnt vergessend eine burg sich gegen
abendwolken, ankerschwer schleppt fuss sich neben
fuss, hinter den augen schlägt das fieber funken, als
ich den focus himmelaufwärts hebe, gegen eine alte
lampe neben lagerhallenfenstern, ausgefressen, wie
es scheint, vom anflug eines taubenpaares, das aus
treue blieb. ich, aber, bin gekommen

ich, aber, schleppe fuss an fuss, noch hundert meter
oder zwei, taste mich vorwärts, halt findend an ver-
messungspunkten: ein schrundiger fassadenriss, ein
kabelknotenpunkt am ende
, ein mauerhaken hängt
herab

dann liege ich am deichweg auf asphalt, kühl aber
trocken und die sonne tief, einfach nur liegen, sage
ich und g. nimmt einen schluck vom bier, erzählt
vom wandel mit dem blick zum fluss, ich kann die
trauer in den worten hören, aber möchte sie nicht
spüren, schweige mich davon: nachher kommt c.

ich freue mich auf dich. der rechte daumen tippt und
zögert: senden? die nachricht wird gesendet. der g.
nimmt einen schluck, weist mit dem kinn über die
schulter hinter sich und nickt: sogar das bootshaus
ham sie abgerissen, diese schweine, übrig geblieben
sind die alten lampen, kannste die sehn?

ich kann sie spüren, denke ich und atme und staune
über eine wolke, die schatten wirft, am himmel, die
sonne tief, einfach nur liegen, denke ich, und als der
g. erneut zum fluss hinüber nickt, liegt seine trauer
auch darin
 

foto: tangermünde, 25. oktober 2006


[ hören wollt ihr? ]

Oktober 27th, 2006

hören wollt ihr kritische stimmen der zeit?

zusammengenommen wären sie leichter
erkennbar, im sinn zerstäubenden lärm

aber wer, bitte, wer will das können, ohne
laut zu werden: sprechen mit einer stimme?


[ nein. nicht so ]

Oktober 26th, 2006


„Olá Georg, ich erinnere mich gerne an Maerz 2006
und unsere herzliche emailische Seelenbegegnung“

nix da. verkackte anthroposophenscheisse. das war
ein disput, keine ’seelenbegegnung‘. jetzt verstanden?


[ schlechte presse für ‚universelles leben‘ ]

Oktober 25th, 2006

hinter dem namen ‚universelles leben‘ verbirgt sich bekannter-
massen eine totalitär strukturierte sekte, der als gallionsfigur
eine obskure prophetin voranstolpert, die ihrer kritikerInnen in
grund und boden zu klagen versucht – ausser beim peryton, da
fällt ihnen wohl nix blödes mehr ein – und deren engagement im
tierschutzbereich nach ansicht ihrer kritikerInnen einzig den sinn
hat, die zahl ihrer abhängigen zu mehren

kurz: es gelingt der sekte ‚ul‘ immer weniger, ohne gegenwind
ihre absurden demonstrationen abzuhalten, zu denen sie ihre
eigenen abhängigen hintransportiert. gibt es beachtung in der
bürgerlichen presse, sieht die in der regel böse aus – wie im fol-
genden artikel des berliner tagesspiegel vom 07. oktober 2006


[ das bittere glück herbstlicher momente ]

Oktober 24th, 2006

meine brieftasche? ich muss sie verloren haben, als ich …
verdammte axt. liegengelassen aufm klo, nachdem ich in
der apotheke dieses einkaufszentrums tabletten besorgt
hatte, gegen fieber. das fieber ist zwei durchschwitzte ta-
ge später allerdings noch da. ich packe zusammen, was
zusammen gehört, um weiterzufahren. nur noch die auto-
batterie an das ladegerät hängen, weil die lichtmaschine
nicht mehr mitmachen will. das bringt mir eine stunde er-
holungszeit in der badewanne, karibische augenblicke zur
genesung. wenn es nicht regnet, werde ich wohl problem-
los ankommen

doch wenn es regnet, wenn der verkackte güldene herbst
seine nassen gaben über mir ausschüttet, werde ich den
scheibenwischer anmachen müssen, das licht, dann wird
die batterie sich entladen, dann wird das auto irgendwann
stehenbleiben. und ich auch. ohne papiere, ohne geld. denn
alles steckte in der brieftasche


[ ich: überall, du: irgendwo ]

Oktober 23rd, 2006


 

ich fühlte mich noch nie so glücklich. seltsam, gell, dass
man so viele jahre vergehen lassen muss? und ich hätte
dich gern dabei, beim glücklichsein. aber nein. ich: hier
und überall, du: dort, irgendwo … es ist gut so, wie es ist

stört es dich sehr, wenn ich ab und zu an dich denke?
 

foto: abflug!
friedrichshafen, 01. august 2006


[ und wer … ]

Oktober 22nd, 2006

wer weint mit mir
wenn ich müde bin
im schlaf?



[ da capo: eine stimme ]

Oktober 21st, 2006

es hat geklingelt. stimmen im flur. ich lausche über
die schulter zur tür: den kenne ich doch …? es ist der
schauspieler s., der damals am kieler schauspiel-
haus in harold pinters „bergsprache“ spielte und in
„noch einen letzten“

wie er kurz darauf bei einer tasse kaffee erzählt, ver-
liessen einige zuschauer die vorstellung türenschla-
gend. das war sicher nicht einfach für die darstellen-
den, denke ich, mich an jenen unvergesslichen thea-
terabend erinnernd

aber so ist das eben mit der kunst: nicht alle können
viel mit ihr anfangen, trotz ihrer kleinbürgerlichen be-
mühung


[ im trockendock ]

Oktober 20th, 2006


 

ich habe einen brief verlegt, einen wochenlang mit mir herum-
getragen, ohne die ruhe zu finden, ihn weiter zu lesen als den
freundlichen anfang; doch ich bin nicht einverstanden mit mir

so viel zeit müsste immer sein. immer. sage ich und weiss
um die verfallszeit von idealen, den rost auf unserer seele


(und das, lieber freund, war noch ein beitrag zum thema ‚altern‘)

 

foto: nach dem konzert
berlin, 07. oktober 2006
aufnahme: thomas vallentin
copyrights: peryton & thomas vallentin ©


[ fast unvergessen ]

Oktober 19th, 2006

einen herbsttag lang unterwegs auf alten
pfaden, fast vergessen. da waren wir und
dort, ein paar alte bäume glaubte ich zu
kennen und den ausblick nach südosten, ü-
ber die hügel hin, fast unvergessen

du bist nicht, nicht du und nicht du. auch
die wege sind nicht mehr die gleichen. ich:

alleine. so wenig einsam war ich nie