Archive for April, 2009

[ 30. april 2009 ]

Donnerstag, April 30th, 2009

dringende reparaturen stehen an; darum bin
ich heute ans ende der welt gereist: hierhin


[ blühende landschaften ]

Mittwoch, April 29th, 2009

angesichts der durch papst benedikt, den zum
stellvertreter gottes empor gestiegenen hitler-
jungen ratzinger, angestrebten modernisierung
der kirche, die er mit 3000 experten anschieben
will, also einer neuen linie in der katholischen
kirche, die exorzismus für ein probates, ein mo-
dernes mittel hält, seelische probleme seiner
schäfchen angemessen zu behandeln, ist die
eindeutige ablehnung zu begrüssen, mit der
beim berliner volksentscheid die initiative „pro
reli“ scheiterte, die den religionsunterricht wie-
der zum schulischen pflichtfach erheben wollte

nein, sagten die berlinerInnen; oder genauer:
‚ja‘ sagten nur 14,2 prozent der berliner wahl-
berechtigten bei einer wahlbeteiligung von jäm-
merlichen 29,2 prozent. richtig gelesen: auch
das nicht hingehen ist eine möglichkeit der de-
mokratischen wahlfarce; abstimmen ist eh nur
drin, wenn es im und am system nichts ändert

es liesse sich an dieser stelle diskutieren, was
passiert wäre, hätte die initivative zur moderni-
sierung der schülerischen moral die hürde von
25 prozent aller wahlbeteiligten genommen; a-
ber ich wollte nicht die tauglichen mittel aus-
breiten, mit denen ein untauglicher unterricht
zerstört werden kann. ich wollte woanders hin
 

ich wollte meine verblüffung ausbreiten über
so viel wirklichkeitssinn, so viel nähe zum au-
genblick, den weitblick einer bevölkerung, die
’89 viel weniger von allem bewies, als sie mau-
ern bestieg, mauern einriss, von osten nach
westen und anders herum. hätte nur einer je-
ner grossstädischen alpinisten den plan vom
abbau des westens
ahnen können? waren die
lobgepriesenen ‚blühenden landschaften‘ ein
gar zu lockendes angebot, alles alte blind über
bord zu werfen – bis hin zur eigenen vernunft?
 

die landschaften blühen allenfalls auf bundes-
gartenschauen
, ansonsten ist der osten grau
geblieben. die anhaltende landflucht der bevöl-
kerung, von der besonders jüngere anteile mit
glatze und baseball-schläger ihre suche nach
geborgenheit und zukunft im rassistisch-natio-
nalen ausdrücken, ist zahlenmässig nicht mit
überdimensionalen schweinemastanlagen aus-
zugleichen. stattdessen zerstören sie (neu)
gewachsene wirtschaftsstrukturen der ums
überleben schuftenden kleinbauern, der hoff-
nungsvollen tourismuseinrichtungen und ganz
nebenbei zerstören sie die trotz vierzig jahre
planwirtschaft übrig gebliebenen reste von na-
tur, diese letzten ressourcen biologischen po-
tentials. lebenserhaltend und kulturfördernd
und zukunftsbildend sind weder freilandexperi-
mente mit gentechnik, noch atommüll-lager …

der osten deutschlands ist zum versuchsfeld
eines kapitalismus heruntergekommen, der im
westen nicht mehr den nötigen entfaltungs-
raum hat – und dort den widerstand fürchtet
 

aber zurück zum herz-erfreulichen: unserem
pontifex. seine altersfrische liebe zum exorzis-
mus ist vielleicht nur ein tölpeln in der traditio-
n
ellen reihe seiner berufenen vorfahren? das
wär allerdings schlimm genug. aber ganz unter
uns: der alte ist doch ein wenig ‚balla‘, oder?

nicht mehr ganz knusper. etwas schräg unter
seiner spitzen mütze, was? ja, haha. und die
bevölkerung eines landes, die sich erst vor-
schreiben lässt „wir sind papst“ und ihm das
dann auch noch hinterher jubelt, wo immer
er sich öffentlich entblösst … die ist es logi-
scherweise nicht minder: unerträglich blöde
 

mit welcher, welchem meiner linksradikalen
freundInnen teilte ich das bedauern: „dieses
land ist eigentlich stellenweise richtig schön;
wenn nur die leute nicht wären“ …? ach ja


[ alte hirsche ]

Dienstag, April 28th, 2009


 

ich hab deine kinderfotos bei mir gefun-
den; wusstest du noch, dass ich die ha-
be?, fragt sie. es raschelt, sie knurrt. du
siehst deinem vater doch ziemlich ähnlich

ach, du hattest die. ja, davor hatte ich
früher angst: ihm später mal ähnlich zu
sehn; inzwischen hab ich mich dran ge-
wöhnt. inzwischen ist es nicht mehr so
schlimm … es ist sogar ganz in ordnung
 

foto: mein vater, vierundvierzigjährig (1957)


[ ein sonntag auf dem land ]

Montag, April 27th, 2009


„…und wenn es dir das nächste Mal so schlecht
geht wie noch vor Monaten, dann stell dich mir
bitte auch zärtlichkeitssüchtig und humpelnd in
den Weg, damit ich aufhöre so verdammt blind
zu sein, man kann viel von Pferden lernen“

 

ja, man kann sicher viel lernen, auch von pfer-
den; wenn man sie in ruhe, einfach sein lässt
 

frühling ist; will sagen: der winter ist überlebt

ein sonntag auf’m land, sonne und wind und
viel kaffee mit freunden und gesprächen und
wir tun so ahnungslos wie alle anderen, die
sich von ‚der krise‘ nicht angstvoll berühren
lassen wollen und nicht von einer ’schweine-
grippe‘, weil die echten themen andere sind
 

sei leise, sagt v., sonst erschreckst du sie

tatsächlich, dort duckt sich eine ente ins tiefe
stroh, sie bedeckt ihre eier, bleibt ungestört
von den pferden, die neben ihr halme heraus-
ziehen, behutsam, ja, behütend, scheint mir


[ brief an d. II ]

Sonntag, April 26th, 2009


„Das Thema des Kapitels besteht darin, die-
se Haltung anzuprangern, zu zeigen, dass
sie uns an den Rand der Trennung und des
Bruchs geführt hat; und dass ich, um Dich
nicht zu verlieren, wählen musste: entwe-
der nach meinen abstrakten Prinzipien oh-
ne Dich zu leben, oder mich von diesen
Prinzipien zu lösen, um mit dir zu leben (…)


In Wirklichkeit habe ich damals gesagt: ‚Ich
liebe dich.‘ Das aber steht nicht in dem Be-
richt.“
– andré gorz: brief an d. (2007)


[ brief an d. ]

Samstag, April 25th, 2009


„Zum ersten Mal leidenschaftlich verliebt zu
sein, wiedergeliebt zu werden, war anschei-
nend zu banal, zu privat, zu ordinär: es war
kein geeigneter Gegenstand, mir zum Univer-
sellen Zugang zu verschafffen. Eine geschei-
terte, unmögliche Liebe dagegen gibt edle
Literatur. Ich fühle mich wohl in der Ästhetik
des Scheiterns und der Vernichtung, nicht in
der des Erfolgs und der Bejahung.“

andré gorz: brief an d., rotpunktverlag (2007)


[ übersetzerIn gesucht ]

Dienstag, April 21st, 2009

sage ich: übersetzer? übersetzerin? meine
ich doch: wortklauberIn mit lyrik im herzen
 

nein, ernsthaft: ich suche den/die fremd-
sprachlerIn, der/die meine chansons ins
englische oder ins französische überträgt

geld hab ich keines zu bieten; vielleicht
irgendwann. aber ruhm wird es so viel
geben, wie wir gemeinsam verdienen

ich warne die leichtsinnigen: das ist har-
te arbeit, die nur mit intensivem kontakt
zwischen autor und übersetzerIn funktio-
niert. das heisst: wir müssen uns mögen


[ heute: konzert auf’m acker ]

Freitag, April 17th, 2009

freitag, 17. april 2009
„konzertlesung zum via campesina aktionstag
ehemalige schweinemastanlage bei alt-tellin
17126 neu plötz
( link: google maps )
( programm )
beginn: 20:00 uhr  


[ 2009. peryton reloaded ]

Montag, April 13th, 2009

es ist geschafft, was mir jedes mal so schwer fällt:

das programm für 2009 ist entschieden. wie stets
ist es eine mischung aus alt und neu, aus den be-
kannten „schlagern“ und unbekannteren, aus neu-
en texten und aus stücken, vor denen mir schon
beim proben gegraut hat, weil ich mich immer und
immer und immer an den gleichen stellen verspiele

wenn meine finger, die hände schon bereit wären
ihre arbeit zu tun, könnte ich also ganz entspannt
den kommenden konzerten entgegen sehen …


[ frühstück bei tiffany II ]

Samstag, April 11th, 2009


„Immer brachte er so etwas mit heimge-
schleppt. Einen Habicht mit geknicktem
Flügel. Einmal eine ausgewachsene Wild-
katze mit einem gebrochenen Bein. Aber
man soll sein Herz nicht an solch wildes
Zeug verlieren – je mehr man das tut, de-
sto stärker werden die. Bis sie stark ge-
nug sind, um davonzulaufen, fort in den
Wald. Oder auf einen Baum fliegen. Dann
einen höheren Baum. Dann den Himmel.
So wird’s zum Schluss ausgehen, Mr. Bell.
Wenn Sie Ihr Herz an solch ein wildes Tier
verlieren. Dann schauen Sie zum Schluss
hinauf in den Himmel.“ (…)
    „Wollen wir dem Dok auch Glück wün-
schen“, sagte sie und stiess ihr Glas gegen
das meine. „Viel Glück – und glaub mir, ge-
liebter Dok, es ist besser zum Himmel hin-
aufzuschauen, als dort zu leben. Welch
leerer Fleck, so unbestimmt. Nichts als ei-
ne Gegend, wo es donnert und Dinge hin-
einverschwinden.“
– truman capote (1958)


[ frühstück bei tiffany ]

Freitag, April 10th, 2009


„Ich habe eine Erinnerung, viele Tage, da
und dort, mit Holly verbracht zu haben, und
es stimmt, wir sahen zwischendurch eine
rechte Menge voneinander, doch im ganzen
betrachtet, ist die Erinnerung falsch. (…)
    Wenn es nicht Donnerstag war, ihr Sing-
Sing-Tag, oder wenn sie nicht im Park aus-
geritten war, was sie gelegentlich tat, war
Holly knapp aufgestanden, wenn ich heim-
kam. Manchmal hielt ich dort an und teilte
ihren Aufweck-Kaffee mit ihr, während sie
sich für den Abend anzog.“
– t. capote (1958)
 

seit wir wieder miteinander reden, lese ich
deinen blog nicht mehr, sagt sie
was???
naja … jedenfalls nicht mehr regelmässig
 

mir fällt nur schweigen ein; aber wer den
wermut liebt, mag auch seinen geschmack


[ wo rauch ist. eine heimatgeschichte ]

Mittwoch, April 8th, 2009

vorsatz

wenn es brennt, irgendwo, muss auch ein
feuer sein. manchmal ist es ein akt der not-
wendigkeit, die flamme zum rauch zu tragen
 

kapitel eins

die geschichte beginnt damit, dass in irgend-
einem restaurant der hauptstadt, allerdings
einem restaurant gehobenen niveaus, eine
zigarette verglomm. ein am nebentisch sitz-
ender gast begann erst nach der ursache
des rauchs zu schnüffeln, dann energisch
nach dem personal zu winken, damit dies ü-
bel umgehend abgestellt werde. ein kellner
entfernte augenblicks die quelle der störung

er war ein wenig irritiert, weil keiner seiner
gäste jener einsam glimmenden zigarette
zuzuordnen und weil ein solch ungehöriger
vorgang ihm bislang nicht untergekommen
war. schliesslich galt ein per gesetz verord-
netes rauchverbot zum schutz der volksge-
sundheit und der allgemeinen arbeitsfähig-
keit. doch war die glut bald gelöscht und
mit der zufriedenheit des gastes auch für
den kellner die ordnung wiederhergestellt

erst als dieser vorfall sich andernorts wie-
derholte, als er wie ein ahnungsvolles glim-
men um sich zu greifen, als kein ort öffent-
licher begegnung von jener unverfrorenen
grenzüberschreitung mehr verschont zu blei-
ben schien, da wuchs unsere geschichte
vom gerücht zur grellen schlagzeile heran

als selbst gut gesicherte räumlichkeiten wie
museen, katasterämter, polizeistationen und
– gleichsam der gipfel an dreistigkeit – die
kantine des bundeskanzleramtes betroffen
waren, ohne dass je eine verantwortliche
person hätte benannt werden können, be-
gann eine landesweite fahndung unter zu-
hilfenahme aller verfügbaren sicherheits-
kräfte und unter ausschöpfung sämtlicher
rechtlichen möglichkeiten. das staatliche
fernsehen brachte sondersendungen, zeit-
gleich über den rundfunk ausgestrahlt, in
denen zahllose experten gleichlautende
appelle an die rechtschaffene bevölkerung
formulierten, sie forderten zur mithilfe auf
und die härteren strafen für den fall, dass
 

kapitel zwei

der innenminister erhob sich an jenem mor-
gen missgelaunt vom frühstückstisch, liess
sich stöhnend in seinen rollstuhl fallen, der
ihm seit jahren ein ebenso bequemer wie
unangreifbarer verkündungsort hasserfüll-
ter reden war, zum wohle des volkes und
zu seiner allumfassenden sicherheit. er griff

zum telefon. wenige stunden später sass
der innenminister in gemeinsamer runde
mit dem bundespräsidenten, der kanzler-
in, dem verteidigungsminister, führenden
köpfen aus regierung und opposition, so-
wie ausgewählten vertretern von staats-
sicherheit und bundesnachrichtendienst
in einem abhörsicheren konferenzraum im
kunstlichtgebleichten keller des regierungs-
bunkers: eine sonderkommission hatte ihre
arbeit aufgenommen, den widerstand ge-
gen die grundfesten des demokratischen
miteinanders zu bannen und zu brechen
 

kapitel drei

acht tage danach schlägt eine afghanische
widerstandsrakete russischer bauart mitten
hinein in ein kleineres armeelager, am rand
eines baumwollfeldes gelegen, irgendwo
im fruchtbaren grenzland zu tadschikistan

die handvoll staubgrauer zelte verdampft
binnen augenblicken; der explosionslärm
ist leiser, als der tiefe krater, der danach
zu bestaunen ist, vermuten lässt, werden
später einheimische bauern berichten, die
in grösserer entfernung augenzeugen des
geschehens waren und überlebt hatten

die bundeskanzlerin und der kriegsminister
waren zu einem überraschenden besuch an
die front geflogen und hatten zum zeitpunkt
des raketenanflugs staubige reihen schwitz-
ender soldaten abgeschritten zum zeichen
patriotischer wertschätzung und zur ehre

der grosse blitz aber verschlingt alles, lässt
nichts übrig, nichts von wert, jedenfalls, was
zu schätzen gewesen wäre, ausser weni-
gen metern verwackelten films, aus grösse-
rer entfernung aufgenommen, versteht sich
 

nachsatz

die geheimnisvollen rauchanschläge sollen
seitdem aufgehört haben, erzählt man sich

aber ich zögere, dies zu glauben; vermut-
lich wird einfach nicht mehr davon berichtet


[ scherenschnitte ]

Donnerstag, April 2nd, 2009


 

kennst du mich? weisst du von mir? willst
du dich weiter täuschen oder soll ich …?

die alten plätze einzunehmen bedeutet
nicht zwingend, dass alles genau so, wie
bekannt, weitergeht. ich nehme also ein
und bin überrascht, weil eintrifft, womit
ich doch gerechnet habe: es geht nicht

(wenn wir die chance ergreifen, können
wir alte sphinxe von ihren morschen sok-
keln schubsen und uns befreien; zurück
ins leben gehn, meine ich, nicht umkehr)

scherenschnitte: leer fühlt sich mein kopf
an; die überraschung macht gefühl, aber
keine kunst. noch sind mir die hände so
fremd wie … die alten orte mit den alten
leuten, die dich lieber vergessen hätten

kleider machen leute, sagt ihr? gut, es
sei; ihr werdet euch auf den leim gehen
 

foto: scherenschnitt/farbenleere III
aufnahme: lu. kiel, 31. märz 2009


[ farbenleere II ]

Mittwoch, April 1st, 2009

es sei ein farbiger abend, sagte sie, doch
hier, zwanzig mitfahrgelegenheitseuronen
entfernt, gibt es keine sonne, nur graues

und der nachbar, den ich im vorbeirennen
fragte, ob er nicht besser hätte nachfra-
gen sollen, was an den ihm zugetragenen
gerüchten sei, wollte lieber glauben, was
ihn weniger beunruhigt: das gewohnt-alte

(womit er ganz bestimmt auf der sicheren
seite steht, weil er’s bloss macht wie alle)

farbenleere: in meinem kopf ist der flanger
‚on‘. du fehlst mir heute besonders, sage
ich, und: angriff ist die beste verteidigung

womit ich wie stets das sprechen meine
und niemals die schlacht; ich weiss, dass
ich mich so als altmodisch oute. na, und?